Merotopia 2072
Ein multisensorischer Blick in die Zukunft
“Das wahre Problem ist, dass wir uns nichts besseres vorstellen können.”
Unter diesem Leitspruch von Rutger Bregmann haben wir uns im Seminar „Merotop“, einem Semesterprojekt der Bauhuas Universität Weimar im zweiten Semester des Bachelor Architektur, mit dem Thema architektonischer Utopien beschäftigt. Ausgelöst wurde dieser Gedankengang durch unseren gemeinsamen Ausflug in den Landschaftspark Nohra. Der ehemalige sowjetische Hubschrauberhangar, von dem nur noch Tragwerk und Dach steht und der wie ein begehbares Denkmal an die sehr viel weniger erholsame Vergangenheit des Parks erinnert, offenbart die Krisenhaftigkeit in der er verortet ist. Die fossilen Überreste jugendlicher Trinkgelage zeigen wohl weniger das gesellige Potential einer ausgehöhlten Mil-Garage, als die schiere Alternativlosigkeit in der Kneipenauswahl in Nohra. Dieses Zusammenspiel aus Geschichte und der Umdeutung dieses Ortes (wobei der Wodka-Verzehr vielleicht noch immer ähnlich ist...) hat uns die Frage stellen lassen: Wie könnte das Gegenteil von Verfall aussehen? Dafür haben wir uns mit utopischen Vorstellungen in der Geschichte der Architektur beschäftigt; vor allem mit Bruno Taut, Leboux oder Boullée. Deren fantastische Zeichnungen bildeten den Grundstein unseres Konzeptes. An deren Darstellungen wollten wir uns orientieren, um so einen Ausschnitt unserer Zukunftsidee zu zeigen. Wir haben uns dabei auf drei Themengebiete fokussiert: Verkehr, Energie und Landwirtschaft. Auf diesen Gebieten haben wir recherchiert, um uns ein Bild davon zu machen, welcher technologischen Neuerungen unsere Zukunft formen und verbessern zu können. Begleiten sollten diese Darstellungen drei musikalische Kompositionen, die gedanklich an das Ambientwerk „Music for Airports“ von Brian Eno angelehnt sind. Mit dem Zusammenspiel aus Zeichnung, Komposition und Text wollten wir eine immersive Ausstellungssituation am Ausgangspunkt unseres Projektes, dem Hangar, herstellen. Dafür haben wir unsere drei Zeichnungen mit den jeweiligen Texten und Musiken im Raum verteilt. Dazu stellten wir leere Zeichenpappen (die gleichen, die wir benutzt hatten) und ermunterten die Gäste, ihre Vorstellungen und Assoziationen darauf spontan festzuhalten.
Im Folgenden erhalten Sie Einblick in eine digitale Aufbereitung der Austellungssituation.
Transportation
Transportation hubs have become the neural network of the accelerated society. Interconnectivity and accumulation has substituted the segregation of transportation branches within city boundaries. High-volume traffic has been relocated to the periphery in an effort to make cities calmer, cleaner and more suitable for pedestrians and cyclists. The obligatory approaches have been laid underground to a high degree. Conventional flight travel had to be largely suspended due to its stark eco-destructive impact. Instead ships have experienced a renaissance. Discontinuation of intercontinental high-speed travel is compensated by reduction of labour hours and a massive top-up of vacation entitlement. Thriving inter-city hyperloop lines shorten travel time between major continental metropolitan areas. The private automobile and its importance for personal freedom of movement still plays an important role yet has been fully electrified. Increasingly, people switch to electric drones as their personal vehicle, technology that has been around since almost three decades but has almost exclusively been used in public transport. Further, it is endeavored to make parts of vehicle traffic modular. Therefor, a system has been developed, in which capsule modules can be interconnected in a platform-based, standardized extension. Post fossile traffic is mostly hydrogen-powered, obtained through simple and cost-efficient seawater electrolysis.
Verkehrswesen
Verkehrszentren wurden zum neuronalen Netzwerk der beschleunigten Gesellschaft. Interkonnektivität und Akkumulation hat die Fragmentierung und Zonierung der Einzelverkehrsmittel innerhalb der Städte abgelöst. Knotenpunkte des Massenverkehrs wurden in die Peripherie verlegt, um die Städte sauberer, ruhiger und angenehmer für Fahrrad- und Fußverkehr zu gestalten. Die nötigen Zuwege wurden zum Großteil unter die Erde verlegt. Der konventionelle Flugzeugverkehr musste aufgrund seiner Umweltbelastung fast vollständig eingestellt werden. Stattdessen hat die Schifffahrt eine Wiedergeburt erlebt. Das Wegfallen interkontinentalen Hochgeschwindigkeitsreisens kompensiert eine Verringerung der Arbeitszeiten und eine massive Aufstockung von Urlaubskontingenten. Zwischen Großstädten boomende Hyper-Loop-Trassen verkürzen kontinentale Verbindungen. Das private Automobil und seine Bedeutung für die individuelle Freizügigkeit ist noch immer wichtiger Bestandteil des Transportwesens, wurde aber vollständig elektrifiziert und stellenweise autonomisiert. Zunehmend steigen Menschen auf elektrische Drohnen um, eine Technologie, die bereits seit fast drei Jahrzehnten partiell im öffentlichen Personennahverkehr zum Einsatz kam. Zu beobachten ist auch das Bestreben, Teile des Fahrzeugverkehrs modular zu machen. Dafür wurde ein System entwickelt in dem Kapselmodule die Basis für eine plattformbasierte, einheitliche und somit interkonnektive Erweiterung darstellen. Der postfossile Verkehr ist zum Großteil wasserstoffbetrieben, gewonnen durch simple und kostengünstige Meerwasserelektrolyse.
Energy
Electric energy is the pivoting factor that drives the digital society. With the long overdue transition from fossil fuels to eco-friendly alternatives engines have been electrified. Digitalization, automation and autonomization of production and service depend on a stable power supply system. Enabling the balancing act between switching to green energy and meeting increasing demands, new technology and new types of power plants have been the key of success. Most importantly nuclear fusion reactors have at last been made operational and viable after almost a century of unfulfilled promises. The basic method of nuclear fusion has been around since the development of the atomic bomb, but could not be conducted in a yielding, efficient manner. That has changed with research accomplishments in the mid-2030s that firstly found a method of synthezising the needed but rare hydrogen isotope Tritium and secondly allowed for a much higher operating temperature inside the reactor thus a much higher power output. Accompanying this vastly efficient and clean nuclear energy is one of the major achievements of the energy sector, the development of a profitable osmosis power plant. Scientists were able to enhance the required semi-permeable membrane (Boron nitride nanotubes) that separates salt- and freshwater leading to a higher energy produced by merging both types of water. Saltwater is also critical in hydrogen electrolysis. With hydrogen being widely used in fuel cell technology, the demand has skyrocketed. Therefor a coating material has been developed that protects crucial electrodes of the plant form corrosion thus made seawater usage for hydrogen production possible. In order to counter global warming and air pollution a filter that catches and isolates carbon dioxide has been designed. The filtered CO2 can be refined into fuel that powers the last remaining petrol powered machinery — especially aircraft — enabling a soft transition to full abolishment of fossil fuels. Pioneering renewable energy sources like wind or solar energy are still being used but have been improved. Conventional wind turbines have been replaced by upwind turbines that are less dependent on wind force and additionally can be built and operated in a lower structure than the old turbines. Solar panels have widely been substituted for thin photovoltaic membrane that can be incorporated more easily in architecture.
Energie
Elektrische Energie ist der Kern der digitalen Gesellschaft. Im lange überfälligen Übergang von fossilen Brennstoffen zu umweltfreundlichen Alternativen wurden Motoren weitestgehend elektrifiziert. Digitalisierung, Automatisierung und Autonomisierung der Produktion und Dienstleitungen sind abhängig von stabiler Strominfrastruktur. Das Spagat zwischen der Umstellung auf regenerative Energie und stets zunehmendem Bedarf konnte nur mithilfe von Forschung und Entwicklung in neuen Formen der Energiegewinnung geschafft werden. Vor allem Kernfusionsreaktoren können nach fast einem Jahrhundert unerfüllter Erwartungen endlich ertragreich betrieben werden. Die grundlegende Funktionsweise der Kernreaktion ist bereits seit der Entwicklung der Atombombe bekannt gewesen, konnte aber nur insuffizient durchgeführt werden. Das änderte sich durch bahnbrechende wissenschaftliche Erfolge, die sich Mitte der 2030er-Jahre erstellten. Zum einen wurde ein Weg gefunden, das für die Reaktion benötigte Wasserstoffisotop Tritium zu synthetisieren, zum anderen konnte die Betriebstemperatur des Reaktors erheblich erhöht werden, durch die deutlich höhere Erträge erzielt werden konnten. Eine zweite Innovation, die Entwicklung leistungsfähiger Osmose-Kraftwerke, erzeugt ähnlich viel Energie. Durch die deutliche Optimierung im Herstellungsprozess der benötigten semi-permeablen Membran (Bornitrid-Nanoröhrchen), kann durch den chemischen Prozess der Salzwasserintrusion, dem Mischen von Salz- und Süßwasser, große Mengen Strom erzeugt werden. Salzwasser wird ebenfalls für die Elektrolyse von Wasserstoff benötigt; weil in der Anfangszeit der Technologie nur Trinkwasser verwendet werden konnte, durch den immensen Aufstieg von Brennstoffzellen-Technik aber der Bedarf rasant stieg, musste ein Weg gefunden werden, das wertvolle Trinkwasser zu ersetzen. Durch eine spezielle Beschichtung werden die Elektroden der Elektrolyseanlage vor Korrosion geschützt. Um einer weiteren Erderwärmung und Luftbelastung entgegenzuwirken, wurde ein System entwickelt, das CO2 aus der Luft filtern und isolieren kann. Aus dem gewonnenen CO2 kann dann wieder Treibstoff raffiniert werden, der die letzten benzinbetriebenen Motoren betreiben kann, um einen sanfteren Übergang zur völligen Abschaffung fossiler Brennstoffe zu ermöglichen. Die Vorreiter-Technologien der Erneuerbaren Energien wie Wind- und Solarenergie sind immer noch in Betrieb, wurden aber weiterentwickelt. Konventionelle Windräder zum Beispiel wurden durch Aufwindturbinen ersetzt, die weniger abhängig von Windstärke sind und zudem in niedrigeren Dimensionen gebaut und betrieben werden können, als herkömmliche Windräder. Solarpanels wurden vielerorts durch organische Photovoltaik-Membran ersetzt, die deutlich flexibler einsetzbar ist.
City and Agriculture
Agriculture has become smaller yet more visible in the self-sufficient society. Big monocultural cropland could be shrunk through a broad drop in livestock production, that has been nearly replaced by in vitro methods and plant-based alternatives and thus lead to less demand for feed like soy or corn. Additionally, the shift to non-fossile fuels — including biogas and biofuels that require extensive amounts of corn and rape — also affect land usage positively. Large scale fields needed for food production have been outsourced; artificial fields, most commonly built in coastal water, thwart negative impact of monoculture on the ecosystem and groundwater. Gained area from outsourcing is converted to more diversely tilled land or reforested. Livestock production still is a major factor in agriculture but has been reduced and, except for few, only for primary produce. Processed industrial ingredients like dairy and eggs for pastry can be substituted for plant-based alternatives. An important change is the implementation of private cultivation into daily life. With architectural and urban building measures, one growing unit is set to be provided per living unit; in new buildings it is already mandatory. Hereby parts of daily food consumption can be grown domestically and by having electronic assistance systems, planting, growing and harvesting are mainly automated. Additionally systems were enhanced that make indoor-growing affordable and profitable for everyone; such units have become standard furnishing. To cultivate larger cropland within densely populated cities vertical farm buildings have come up in many places. Agricultural usage of urban space has led to higher air quality and wellbeing in urban centers.
Stadt und Landwirtschaft
Landwirtschaft ist in der Selbstversorgungsgesellschaft kleiner aber deutlicher geworden. Die großen monokulturellen Anbauflächen wurden dank des deutlichen Rückgang der Viehwirtschaft durch In-Vitro-Fleisch und pflanzliche Proteinquellen und somit weniger Bedarf an Futter wie Soja oder Mais dezimiert. Auch der Wechsel von fossilen Brennstoffen — darunter auch Biogas und Biotreibstoffe, für die große Mengen an z.B. Mais und Raps benötigt werden — zu Elektround Wasserstoffmotoren wirkt sich positiv auf die monokulturelle Landwirtschaft aus. Zur Lebensmittelproduktion benötigte Großäcker wurden ausgelagert; künstliche Felder, die vor allem in Küstengewässern gebaut wurden, verhindern den schlechten Einfluss von Monokulturen auf das Ökosystem und Grundwasser. Die so gewonnen Landflächen wurden entweder zu divers genutzten Anbauflächen umfunktioniert oder aufgeforstet. Die Viehwirtschaft ist zwar noch wichtiger Bestandteil der Landwirtschaft, ist aber deutlich reduziert worden und bis auf einige kleine Ausnahmen nur für Primärerzeugnisse gedacht. Weiter zu prozessierende Industrieerzeugnisse wie z.B. Eier und Milchprodukte für Teigwaren können mittlerweile fast 1:1 durch pflanzliche Alternativen ersetzt werden. Eine wichtige Änderung ist auch die Implementierung des Privatanbaus in den Alltag. So werden Konsument*innen zu Produzent*innen. Mit architektonischen und städtebaulichen Maßnahmen bemühte man sich, jeder Wohneinheit eine Anbaueinheit zur Verfügung zu stellen, bei Neubauten ist das mittlerweile verpflichtend. Damit können zumindest Teile des täglichen Lebensmittelbedarfs gedeckt werden und durch elektronische Assistenzsysteme sind große Teile des Pflanzens, Pflegens und Erntens automatisiert. Dazu hat man es geschafft, Systeme weiterzuentwickeln, die ein problemloses Indoor-Anbauen einiger Sorten ohne jedes Sonnenlicht ermöglicht. Solche Einheiten mit Kräutern, Salat und Gemüse sind mittlerweile zum Standardmobiliar geworden. Um größere Anbauflächen auch innerhalb der dicht besiedelten Städte zu ermöglichen, wurde vermehrt auf den Vertikalanbau gesetzt. Diese landwirtschaftliche Nutzung von urbanem Raum sorgt nicht nur für eine Verkürzung von Lieferketten, sondern auch zur Verbesserung der Luftqualität und Wohlbefindens in der Stadt.
Workshop
Am 15. Juli 2021 luden wir dann im Rahmen der Summaery der Bauhaus-Universität zur Austellung unserer Seminararbeit „Merotopia 2072“ in den Landschaftspark Nohra vor den Toren Weimars ein. Der mitten im Park liegende halbzerfallene Hubschrauberhangar diente uns dabei als Galerieraum. Unsere drei multimedialen Austellungsstücke positionierten wir zusammen mit sieben leeren Pappen im Raum; zwischen Müllcontainern, Schuttbergen und Graffitis. Mit den leeren Duplikaten versuchten wir, Besucher*innen dazu zu animieren, selbst kreativ tätig zu werden und ihre vorher gesammelten Eindrücke und Denkanstöße der Austellung noch vor Ort festzuhalten — An dem Ort, der uns mit seiner monumentalen Gestalt zum Gegenstand unseres Projektes inspiriert hat. Trotz der leider nur geringen Zahl an Gästen, entstanden ein paar dieser Spontanarbeiten, die hier abgebildet sind.